Dipl.-Ing. Boris Fuchs
Festvortrag zum Festakt am 7. November 2003 zum fünzigjährigem Jubiläum des Instituts für Druckmaschinen und Druckverfahren (IDD) an der Technischen Universität Darmstadt
Die Ehre, den Festvortrag halten zu dürfen, verdanke ich wohl der biologischen Gegebenheit, dass ich bei der Institutsgründung 1953 gerade mein Studium an der Technischen Hochschule Darmstadt begann und somit damals jung genug war, die 50 Jahre im gerade noch Vollbesitz meiner geistigen Kräfte – ich wurde im letzten Monat 70 Jahre alt – miterleben zu können, um heute und hier darüber zu berichten.
Allerdings kann ich die Anfangszeit nur aus der Froschperspektive eines Studienanfängers wiedergeben, weshalb mein Vortrag mehr von persönlichen Eindrücken als von den strategischen Überlegungen der damaligen Entscheidungsträger geprägt sein wird.
Um die Situation im Umfeld des zu gründenden Institutes näher zu beleuchten, hole ich etwas aus.
Als ich im Frühjahr 1953 das Abitur am Frankenthaler Gymnasium ablegte, zählte unser Jahrgang gerade mal 20 Absolventen. Davon waren 7 Fahrschüler, die bei einem Vergleich mit späteren Zahlen abzuziehen sind, denn das Hinterland von Frankenthal wurde in der Zwischenzeit auch mit Vollgymnasien gesegnet. Die Zahl reduziert sich damit auf 13. Der standen in den 1990er Jahren an den auf zwei erweiterten Frankenthaler Gymnasien je Jahrgang 300 Abiturienten gegenüber – eine Steigerung also um mehr als das Zwanzigfache. Die Einwohnerzahl von Frankenthal stieg aber in diesem Zeitraum um höchstens 20%, wenn man die Eingemeindungen abzieht.
Wir glaubten also zu einer Elite zu gehören, als wir im Herbst 1953 nach Absolvierung eines halbjährigen Industriepraktikums zum Studium in Darmstadt antraten. Trotzdem hatten wir die Zugangsberechtigung mit einer Aufnahmeprüfung und einer Durchfallquote von 50%, wie man uns vorher sagte, zu bestehen, denn das Land Hessen gewährte als einziges Bundesland seinen Bürgern eine Befreiung vom Studiengeld, mit der Konsequenz, dass alle Hessen zum Studium im Lande blieben und für die Auswärtigen kaum Platz übrig blieb.
Die Technische Hochschule Darmstadt zählte damals rund 3 200 Studierende – diese Zahl stieg in den 1990er Jahren bis auf 18 400 an. Die hier dargelegten numerischen Vergleiche von Gymnasium und Hochschule mögen die Bildungsexplosion verdeutlichen, der das Land in den letzten Jahren ausgesetzt war, bei der jedoch verständlicherweise die Qualität mit der Quantität nicht immer Schritt halten konnte.
Der Hochschulbetrieb litt 1953 noch stark unter Raumnot, denn der Raumbedarf konnte nur zu 50% gedeckt werden, da viele Gebäude durch Kriegseinwirkung zerstört oder nur notdürftig wieder hergerichtet worden waren. So bekam jeder Studienanfänger für die Massen-Vorlesungen in Mathematik, Physik und Chemie im großen Hörsaal des Zintl-Institutes wöchentlich einen Gutschein, der ihm wenigstens ein Mal in der Woche einen Sitzplatz zusicherte. Die Übrigen mussten auf den Stufen oder auf dem Boden der Seitengänge Platz nehmen. Es gab damals noch keine vervielfältigten Skripten. Alles was der Professor sagte und zum Teil mit Kreide auf der Wandtafel notierte, musste peinlich genau mitgeschrieben werden. Mancher Professor mag sich damals wie Platon im alten Griechenland vorgekommen sein, dessen Schüler auch um ihn herum auf dem Boden kauerten.
Unter den Studierenden gab es viele Kriegsteilnehmer und Spätheimkehrer aus Kriegsgefangenschaft. Die Altersspanne in den einzelnen Studienjahrgängen war deshalb sehr breit gefächert. Die Mehrzahl der Studenten mussten als so genannte Werksstudenten ihren Lebensunterhalt in den Semesterferien mit Hilfsarbeitertätig-keiten in der Industrie verdienen – so auch ich – denn Bafög gab es erst ab dem Studienjahr 1956/57. Eine Studenten-Bude kostete damals 35-40 DM, das Heizmaterial brachte man im Schuhkarton von zuhause mit. Bedürftige bekamen von Darmstädter Firmen in ihren Kantinen einen Mittagstisch zur Verfügung gestellt. Bei mir war es das Darmstädter Tageblatt. In ewiger Dankbarkeit habe ich wohl deshalb in späteren Jahren einem Forschungsinstitut für Zeitungstechnik gedient.
Der Anteil an weiblichen Studenten betrug weniger als 2 % und beschränkte sich auf einige Architektur-Studentinnen und Biologinnen, was sich bei Hochschulfesten stets als ein großes Manko erwies. Der ASTA schuf schließlich Abhilfe, indem er aus den Dolmetscher-Instituten (DI) von Heidelberg und Germersheim, wo das Verhältnis gerade umgekehrt lag, Studentinnen mit Omnibussen ankarren ließ. Hochschulfeste in der gerade errichteten Otto-Berndt-Halle gewannen dadurch erst den gewünschten Reiz.
Die Hochstimmung bei einem dieser Feste inspirierte einmal einige Studenten dazu, um Mitternacht vor das Darmstädter Finanzamt zu ziehen und mit Hilfe einer nahe gelegenen Baustelle das Portal des Finanzamtes zuzumauern. Ein Schild mit der Aufschrift „Stein gewordene Volksmeinung“ zierte das studentische Mauerwerk. Als am Montagmorgen die Feuerwehr das Portal aufbrechen musste, traten aus der Menge von Schaulustigen zwei schwarz gekleidete Studenten hervor und stellten wortlos einen Kasten Bier für die Feuerwehrleute auf den Boden. Über solche Studentenscherze konnte noch ganz Darmstadt lachen.
Einen schwarzen Anzug musste übrigens damals jeder Student im Schrank hängen haben – notfalls tat es der abgeänderte Konfirmandenanzug oder der Hochzeitsrock des Vaters – denn zu den Prüfungen hatte man obligatorisch in Schwarz mit silbergrauer Krawatte zu erscheinen. Dem entsprechend feierlich ging es bei den alljährlichen Rektoratsübergaben zu. Auch die Professoren und geladenen Gäste kamen alle in Schwarz und der Bauhaus-Architekt Professor Ernst Neufert fiel nur dadurch unter seinen rund 100 Kollegen auf, weil er sein weißes Einstecktuch besonders üppig in der Brusttasche seines Jacketts drapiert hatte.
Ob dieser vornehmen Feierlichkeit stürzte sogar einmal ein ASTA-Vorsitzender ohnmächtig vom Rednerpult, sodass ihn die im Halbkreis um das Podium sitzenden Professoren aufheben und hinaus tragen mussten. Welch ein Kontrast zu einer Rektoratsübergabe Mitte der 1970er Jahre, bei der ich zugegen war und bei der der ASTA-Vorsitzende im Rollkragenpullover rüde vom Rednerpult herunter auf die Professorenschaft schimpfte, während die geladenen Emeriti im Saal herumirrten, um zwischen den johlenden Studenten einen Sitzplatz zu finden.
Dieses Stimmungsbild und die Vergleiche mögen genügen, um Ihnen die damalige Situation in Erinnerung zu rufen oder den Jüngeren kund zu tun.
Die traditionsreiche deutsche Druckmaschinenindustrie hatte nach dem verheerenden Krieg erneut Fuß gefasst und ihr Selbstbewusstsein wiedererlangt, und ging 1950 sogar daran, eine internationale Messe aufzubauen, die später alle anderen Messen der Druck & Papier-Branche überstrahlende „Drupa“. Nach diesem Erfolg regten sich in der Industrie erste Stimmen, man müsse auch etwas für den Ingenieurnachwuchs in der Branche tun.
Zwar gab es schon seit 1931 an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg ein Forschungsinstitut für das graphische Gewerbe, doch Berlin war Frontstadt der vier Siegermächte und ein Neubeginn der Forschungsaktivitäten dieses Institutes unter Professor Albrecht war in München 1951 als FOGRA für das Druckgewerbe und nicht für den Druckmaschinenbau ins Leben gerufen worden. Auch fehlten dort die Einrichtungen für eine Lehrtätigkeit.
So suchte man sich die Technische Hochschule Darmstadt zur Gründung eines Institutes für Druckmaschinen und Druckverfahren, kurz IDD genannt, aus, denn hier konnte man schon seit dem Jahre 1905 die Maschinen und Verfahren der Papierherstellung studieren, was einen Synergieeffekt versprach. Bestimmt haben auch die Verbindungen von Dr. med. Dr.-Ing. h. c. Wilhelm Köhler, Geschäftsführender Gesellschafter der Maschinenfabrik Goebel GmbH mitgeholfen, der damals schon Vorsitzender des Vereins der Freunde der TH Darmstadt war und nach dem die Aula im alten Verwaltungsgebäude an der Hochschulstraße noch zu seinen Lebzeiten benannt wurde.
Es kam so am 15. September 1952 zur Einrichtung einer Diätendozentur für die Fachrichtung Druckmaschinen und Druckverfahren in der Fakultät Maschinenbau, die man dem im Druckmaschinenbau versierten Betriebsingenieur Dr. rer. pol. Wolfram Eschenbach übertrug. Der gebürtige Rosenheimer war schon in den 1920er Jahren Betriebsassistent des legendären Dr. Steuer bei der Schnellpressenfabrik Frankenthal, Albert & Cie., und stieg in den 1930er und 1940er Jahren zum Oberingenieur und Betriebsdirektor der VOMAG in Plauen im Vogtland auf. Der Erste, der ihm beim Aufbau eines Institutsbetriebes half, war mein Freund Rudolf Uhrig. Dieser hatte bereits 1952 mit dem Studium in Darmstadt begonnen. Er mag jedoch nicht im Rampenlicht stehen, sonst müsste eigentlich er hier den Festvortrag halten. Und noch vorher, das erfuhr ich erst kürzlich, hat Dr.-Ing. Engelberth Muth als Ferienhelfer bei der Koenig & Bauer AG, in Würzburg die Buchdruckrotation aus dem Jahre 1906 mit herrichten geholfen, die dann den Grundstock des Maschinenlabors des IDD bildete.
Am 10. Oktober 1953 folgte die Einweihung und Eröffnung des Institutes. Der Eingang befand sich damals noch im zweiten Torbogen des Hinterhauses der ehemaligen Kaserne an der Dieburger Straße. Über eine steile Holztreppe erreichte man die beiden oberen Stockwerke, die Maschinenhalle im Erdgeschoss über einen Podest. Der östliche Anbau mit dem steinernen Treppenhaus bestand damals noch nicht. Aus dem Dozenten wurde 1956 ein außerplanmäßiger Professor, 1959 ein außerordentlicher und 1964 ein ordentlicher. Die akademischen Grade musste man sich damals noch in kleinen Schritten erdienen.
Um dem besonderen Charakter der Fachrichtung auch im Gesellschaftlichen eine Entsprechung zu geben, wurde am 6. Juni 1955 der Verein Darmstädter Druckingenieure, kurz VDD geschrieben, nach dem Vorbild des Akademischen Papiermacher-Vereins APV gegründet, was den Gedankenaustausch zwischen den Studierenden und den bereits in der Praxis tätigen Ingenieuren förderte, ohne die Rituale einer Verbindung mit aufnehmen zu müssen. Der VDD organisierte zusammen mit dem IDD Exkursionen und Colloquien und unterstützte damit auch das Lehrangebot des IDD. Als später mehrere Hochschulen für das Studium der grafischen Technik zur Verfügung standen – zur Zeit der Gründung des IDD gab es nur eine Entsprechung in Moskau und eine bei Philadelphia in USA – , nannte sich der VDD 1973 in Verein Deutscher Druckingenieure um und öffnete sich auch „Nicht-Darmstädtern“.
Die Initiatoren der Institutsgründung 1953, das waren die damaligen Spitzen der deutschen Druckmaschinenindustrie, die für die Einrichtung und den teilweisen Unterhalt des Institutes mit ihren Firmen auch finanziell aufzukommen versprachen. Das Datum der Institutseröffnung hatte man bewusst so gewählt, damit es mit dem 50-jährigen Bestehen der VDMA-Fachgemeinschaft Druck- und Papiermaschinen in Frankfurt-Main-Niederrad und des ihr vorausgehenden Vereins Deutscher Druckmaschinenfabriken in Würzburg, der sich übrigens auch „VDD“ nannte, zusammen fiel. Wenn das stimmt, feiert diese Gemeinschaft heute ihr 100-jähriges Jubiläum.
(Vom Manuskript abweichend, will ich Ihnen dazu eine kurze Anekdote zum Besten geben: Beim 90. Geburtstag von Dr. Bolza, von dem noch die Rede sein wird, erwähnte Huber H.A. Sternberg in einer launigen Rede, dass er sich im Jahre 1925 bei eben diesem Verein Deutscher Druckmaschinenfabriken in Würzburg als neuer Geschäftsführer der Schnellpressenfabrik Heidelberg vorstellte und vom Vorsitzen-den des VDD, Herrn Rockstroh, Besitzer der angesehenen Druckmaschinenfabrik Rockstroh in Heidenau bei Dresden, im sächsischen Dialekt zur Antwort bekam: „Ja gibt’s denn die och noch?“. Von Rockstroh spricht heute niemand mehr. Das mag uns die Vergänglichkeit selbst großer Unternehmen unserer Branche verdeutlichen und das alte Sprichwort bestätigen, dass Totgesagte länger leben).
Was die Forschungsseite bei der Aufgabenstellung des Institutes anbelangt, so hatte man damals ein anderes Verständnis von Forschung als es heute der Fall ist. Das beweist schon die Einrichtung des Maschinenlabors, wo u.a. eine ausgediente Buchdruckrotation aus der Jahrhundertwende von 1900 aufgestellt wurde, da diese zum Forschen allemal gut genug sei. „Nun forscht mal schön!“, war der gut gemeinte Rat der Gründungsväter.
Professor Eschenbach hatte es bei dieser Einstellung nicht leicht, ein schlüssiges Forschungskonzept durchzusetzen. Bei aktuellen Fragestellungen wurde argwöhnisch darüber gewacht, dass keine der Gründungsfirmen durch die Gemeinschaftsforschung bevorzugt oder gar durch Aufdecken von Schwachstellen benachteiligt wurde. Uns Studenten ist damals kolportiert worden, einer der Gründerväter habe einmal in einer Kuratoriumssitzung im pfälzischen Dialekt gesagt: „Ich glab, die Junge wolle garnit wie mir wolle – ja nennt mer das noch Wisseschaft?“
Auch bei der Bereitstellung von Lehrmaterial zeigte man sich aus überängstlichen Geheimhaltungsgründen sehr engherzig. Professor Eschenbach musste deshalb bei seinen Vorlesungen auf kinematische Prinzipskizzen der aktuellen, in Deutschland gefertigten Druckmaschinen zurückgreifen, die er aus einem russischen Lehrbuch kopiert hatte. Dort hatte man offensichtlich einen leichteren Zugang zu diesen Unterlagen gefunden, indem man exportierte Maschinen in ihre Einzelteile zerlegte, um ihre Funktion zu ergründen.
Dieses Verhalten änderte sich erst mit Gründung der Forschungsgesellschaft Druckmaschinen e.V. im Jahre 1955 unter der Geschäftsführung von Dr. jur. Paul Seißer und seines ihm ab 1960 nachfolgenden Sohnes, Dr. rer. pol Rolf Seißer. Fachleute kamen dadurch in den Technischen Beirat, die in der Forschung einen Nutzen und nicht ein verbrämendes Beiwerk sahen. Trotzdem waren der Angewandten Forschung in der Gemeinschaft Grenzen gesetzt, weshalb man sich vornehmlich auf grundlagenforscherische Themen beschränkte. Eine der ersten Arbeiten betraf die Ergründung des Farbübertragungsprozesses und der Druckverteilung in der Druckzone, was zur Dissertation und Habilitationsschrift des damaligen Hauptassistenten führte und ganze 10 Jahre in Anspruch nahm.
In seinen Vorlesungen vermittelte Professor Eschenbach seinen Studenten hauptsächlich ein praktisches Konstrukteurwissen. Er zeichnete dabei oft komplizierte Getriebeschemata auf die Wandtafel und gab für jedes Zahnrad den Teilkreis, die Zähnezahl und den zugehörigen Modul an. Die damals gängige Meinung sah in solchen Konstruktions-Beispielen das beste Mittel, um technische Wissen weiterzugeben. So hat mir auch mein Vater über seinen frühen Tod hinaus sein Konstruktionsbuch vererbt, in dem er alle von ihm konstruierten Druckmaschinen in Skizzen und Daten festhielt, damit ich es einmal leichter habe, wenn ich in seine Fußstapfen trete. Der rasche technische Fortschritt und die geänderten Aufgaben ließen diese Dokumentation jedoch schneller veraltern, als man sie umsetzen konnte.
In meiner Erinnerung lebt Professor Eschenbach als ein äußerst gütiger Lehrmeister fort, der ständig die Nähe zu seinen Studenten suchte, um ihnen seine praktischen Erfahrungen mit auf den Weg zu geben. Da seine Studentenschar überschaubar klein war, kümmerte er sich auch um deren soziale Belange und half, wo er nur konnte. Er vermittelte sogar seine Absolventen, wenn diese bei der Stellensuche nicht selbst fündig wurden. Seine Vorlesungen spickte er mit humorvollen Anekdoten, die er mit bayrischer Verschmitztheit vorzutragen verstand. Die Abschlussprüfung in seinem Amtszimmer war mehr ein familiäres Gespräch, bei der die Prüfungsnote schon vorher festzustehen schien.
Ich durfte ihn nach dem Studium noch bis kurz vor seinem Tod am 5. Oktober 1985 begleiten, da sein Wohnhaus am Fichteweg gleich neben dem Ifra-Institut lag, und ich ihn so nach Feierabend öfter besuchen konnte. Er tischte mir dabei immer einen Wermut aus dem Supermarkt auf – ja, ein Weinkenner war er wahrlich nicht. Die letzten Jahre waren für ihn sehr einsam, da er seine Frau, eine praktizierende Ärztin, und seinen Schachfreund, Professor Titschak, Emeritus des Lehrstuhls für Maschinenelemente der TH Darmstadt, verloren hatte.
Beim Nachfolger von Professor Eschenbach hatte ich das Glück, dass ich ihn schon lange vor seinem Amtsantritt 1966 kannte. Prof. Dipl.-Ing. Karl R. Scheuter war nämlich seit 1961 mein Chef bei der Maschinenfabrik WIFAG in Bern in der Schweiz. Dorthin hatte es mich mit meiner Frau verschlagen, als ich mich zu Beginn der 1960er Jahre auf die Wanderschaft begab, um den internationalen Druckmaschinen-bau kennen zu lernen. Ich arbeitete damals in seiner Entwicklungsabteilung, nur durch eine Glaswand von seinem Büro getrennt, und war beim Schreiben technischer Protokolle so etwas wie sein persönlicher Assistent.
Als er 1965 den Ruf an die TH Darmstadt erhielt, war ich wohl in der Firma auch der Erste, der davon erfuhr. Er hatte bereits 1961 neben der Entwicklungsabteilung eine Forschungsabteilung bei WIFAG eingerichtet, was sicher zu seiner Berufung beitrug. Er sagte mir damals zum Abschied, die einzigen freien Menschen auf dieser Welt seien noch die Professoren – nur dem Kultusminister verpflichtet, der weit weg in Wiesbaden sitze. Dass diese Freiheit 1968 dann von unten bedrängt wurde, war damals noch nicht abzusehen. Doch bewahrte er sich auch unter den geänderten Rahmenbedingungen seinen helvetischen Freiheitsdrang. Damit das Schweizerische in der Diaspora nicht zu kurz kam, dafür sorgte seine Ehefrau Christel mit ihren im Eberstädter Haus so vorzüglich zelebrierten Raclette-Kaminabenden.
Mit Professor Scheuter öffnete sich das Institut einem neuen Denken, u.a. durch die Einführung informationstheoretischer Überlegungen in die Problemstellungen des Druckmaschinenbaus. Auch die Praktika änderten sich von druckerischen Handfertigkeiten zu Experimenten mit oberflächenphysikalischen Phänomenen. Einen Schwerpunkt sah er darüber hinaus in strömungstechnischen Unter-suchungen, hatte er doch nach seinem Studium an der ETH in Zürich noch drei Jahre als wissenschaftlicher Assistent bei Professor Ackeret am Institut für Aerodynamik der ETH gearbeitet.
Besondere Ergebnisse in der Forschung, die sich damals in Dissertationen niederschlugen betrafen das viskoelastische Verhalten von Walzenbelägen, einen Beitrag zur Systemtheorie der Druckverfahren, eine experimentelle und rechnerische Untersuchung des Farbtransports in Walzenfarbwerken, die Optimierung von Trocknern durch die Ergründung der Strömungsverhältnisse unter Prallstrahldüsen, die Untersuchung des Rollverhaltens von Mehrwalzensystemen, die objektive Qualitätsbeurteilung von Druckprodukten mit Hilfe der Informationstheorie und last but not least, die Erfindung und Entwicklung des frequenzmodulierten Rasters am IDD, was heute Allgemeingut geworden ist und die Druckqualität auf fotografische Höhen gebracht hat.
Durch die Reform der Fakultät Maschinenbau von 1965, wonach nur noch der Allgemeine Maschinenbau zu lehren und die Aufsplitterung in spezielle Fachrichtungen zu vermeiden sei, verlor das IDD seinen Sonderstatus wie ihn allein das Institut für Papierfabrikation (IfP) aus historischen Gründen beibehalten durfte. D.h. die IDD-Studenten mussten in ihrer Vorlesungsauswahl dem allgemeinen Fächerkanon der Fakultät Maschinenbau und nicht mehr einem speziellen, allein auf die Erfordernisse der Drucktechnik zugeschnittenen Fächerplan folgen. Das Abschlusszeugnis wies sie danach auch nicht mehr als Spezialisten für Druck-maschinen und Druckverfahren aus. Eigentlich verlor damit das Institut seinen Namen, denn es wurde fortan nur noch von einem Fachgebiet im Fachbereich Maschinenbau gesprochen, aber im allgemeinen Sprachgebrauch lebte weiterhin der Name IDD fort.
Von Druckerverbandsseite wurde dem Institut vorgeworfen, es bilde vornehmlich nur Druckmaschinenkonstrukteure aus und vernachlässige die Belange der Druckindustrie. Man förderte deshalb den Aufbau von entsprechenden Fachhochschulen und einer universitären Hochschule für Planung Druck in Berlin. Dass bei den begrenzten Ressourcen es jedoch der richtige Weg war, mit dem Druckmaschinenbau zu beginnen, beweist die Tatsache, dass ein Großteil der Lehrkräfte dieser Fachhochschulen und der Berliner Hochschule aus dem Darmstädter Institut hervor gegangen ist.
Hätte man die Wünsche der Druckindustrie erfüllen wollen, so wäre eine zweite Professorenstelle in Darmstadt unabdingbar geworden, so wie es am Institut für Polygraphische Technik der TU Chemnitz schon seit 1966 der Fall war. In Chemnitz, in der damaligen DDR Karl-Marx-Stadt genannt, war drei bis zehn Jahre nach dem Darmstädter Institut ein ähnlich ausgerichtetes Institut entstanden, das von Anfang an die strikte Zweiteilung der Ausbildung von Druckmaschinenkonstrukteuren auf der einen Seite und so genannten Druck-Technologen auf der anderen Seite vorsah. Mit der Gleichschaltung von Fachhochschul- und Universitätsabsolventen im Diplom-Ingenieur-Titel schien sich diese Zweiteilung im Westen zu erübrigen – mehr eine politische, denn eine bedarfsgerechte Entscheidung, die in der Folge oft in eine meist fachfremde, nur noch management- und marketingbezogene Führung der Druckindustrie einmündete.
Professor Scheuter brachte seinen Studenten das kritische Denken bei, nämlich immer zu hinterfragen, ob der eingeschlagene Weg wirklich der richtige sei und ob man nicht alte Zöpfe – sein Lieblingswort – abschneiden sollte. Seine Prüfungen waren deshalb eher gefürchtet als beliebt, so wie auch ich früher bei WIFAG immer mit logischen Antworten gewappnet sein musste, wenn er am Tag drei- bis viermal an mein Reißbrett kam. Er ließ so auch manchen Kandidaten durchfallen, wenn dieser glaubte, auf dem Weg des geringsten Widerstandes durchkommen zu können. Manche seiner Studenten haben ihm dies vielleicht erst nachträglich gedankt, wenn sie in der Berufspraxis einsehen lernten, dass ihnen die frühe Gewöhnung an diese Härte beim Bestehen von Alltagsproblemen sehr geholfen hat.
Auch in den Verhandlungen mit der Forschungsgesellschaft Druckmaschinen war unter Professor Scheuter ein strengerer Zug eingekehrt, indem er sich in seiner Meinung, bestimmte Themen behandeln zu müssen, nicht abbringen ließ. Das führte dann auch zur Vergabe von Forschungsprojekten an andere Institute. Das eherne Prinzip der Forschungsgesellschaft, vornehmlich zum Erhalt des IDD da zu sein, war damit aufgebrochen worden. Ich, der ich damals dem Vorstand der Forschungsgesellschaft angehörte, sprach etwas despektierlich von einer Kirche zur Erlangung höherer akademischer Weihen, die es zu erhalten gelte. Am Ende obsiegte Professor Scheuter, indem er seinen Weg, der von einer tief sitzenden Überzeugung getragen war, dies zur Erhaltung der Zukunftsfähigkeit der Branche tun zu müssen, unbeirrt weiterging.
In Professor Scheuters Amtszeit fiel die Feier zum 25-jährigen Jubiläum des Institutes, die am 10. November 1978 im Wilhelm-Köhler-Saal der TH stattfand. Er selbst hielt dabei den Festvortrag über ein theoretisches Problem der Farbenlehre bei der Transformation der Neugebauer-Gleichungen. Auf dem Podium diskutierten sechs junge Führungskräfte der Druckmaschinenindustrie – allesamt Absolventen des IDD – über die Zukunft des Druckmaschinenbaus. Das Schlusswort sprach der unvergessene Ehrenvorsitzende der Fachgemeinschaft Druck- und Papiermaschinen und Vorsitzende der Forschungsgesellschaft Druckmaschinen von 1958-1969, Dipl.-Ing. Dr. phil. Dr. rer. pol. h. c. Hans Bolza, Senior-Chef der Koenig & Bauer AG in Würzburg. Wie zu erwarten war, führte er dabei u.a. seine von ihm eifrig verfochtene Geldwerttheorie an.
War die Nachfolge für Professor Eschenbach noch sehr ruhig über die Bühne gegangen, so gestaltete sich diese bei Professor Scheuters Emeritierung 1985 nach knapp 20 Jahren Dienstzeit nicht ohne lautstarke Spekulationen, zumal es zweier Anläufe bedurfte, bis mit Prof. Dr.-Ing. Christoph Hars dem richtigen Kandidaten der Zuschlag erteilt werden konnte. Zu viele Namen waren im Vorfeld gehandelt worden. Professor Hars bestach in seiner Probevorlesung besonders durch sein analytischen Fähigkeiten und die Leichtigkeit, mit der er mathematische Herleitungen an die Wandtafel zaubern konnte. Seine Assistentenzeit an der Technischen Universität Berlin mag dem gebürtigen Hamburger dazu das nötige Rüstzeug verliehen haben.
Praxiserfahrung konnte Professor Hars schon durch seine dem Studium vorausgegangene Werkzeugmacherlehre und der Tätigkeit als Technischer Direktor des Flexo-Druckmaschinenherstellers Fischer & Krecke in Bielefeld vorweisen. Dort lernte ich ihn in einer geschäftlichen Partnerschaft kennen und musste ihm bei einer Reklamation – da entsinne ich mich noch ganz genau – in einer Sonntagnacht einen Monteur entsenden. Es war dies seine ultimative Forderung. Richtig kennen und schätzen gelernt haben wir uns aber erst nach seiner Berufung an die TH Darmstadt, als ich 1985 einen Erfahrungsaustauschkreis zwischen Ifra und den entsprechenden Hochschulinstituten für Druck und Papier ins Leben rief – einer Einrichtung, die noch heute besteht. Trotz seiner eloquenten Art hat er es jedoch nie geschafft, mich zu einem Verfechter von Flexodruck in der Zeitungsproduktion zu machen.
Professor Hars setzte den Schwerpunkt seiner Lehrtätigkeit wiederum in der Konstruktion, indem er CAD-Arbeitsplätze im Institut einrichtete, um so seinen Studenten ein Rüstzeug an die Hand zu geben, mit dem sie in der Praxis der Konstruktionsbüros gleich ganze Arbeit leisten konnten. Wie Professor Scheuter, so lag auch ihm besonders am Herzen, die Studenten zu einem kritischen Denken zu erziehen und keine Furcht davor zu haben, auch sehr schlüssig sich darbietende Dinge zu hinterfragen. Er selbst praktizierte dies ohne Scheu in unseren Sitzungen und trieb damit manchen Befragten in die Enge, um nicht zu sagen in die Verzweifelung.
In der Forschung lieferte er nicht nur die konstruktiven Grundlagen für die von ihm so geliebten Einzylinder-Flexodruckmaschinen, sondern ermittelte auch die physika-lischen Erfordernisse für anschlagfreie Druckverfahren mit wiederbeschreibbaren Druckformen, wovon wir jedoch bei Ifra als quasi Konkurrenten nur am Rande erfuhren.
Um es kurz zu machen: Mitte letzten Jahres, nach rund 15 Jahren, lief auch die Amtszeit von Professor Hars aus und es begann erneut die lange Suche nach einem geeigneten Nachfolger. Dieser wurde schließlich in der Person von Prof. Dr.-Ing. Edgar Dörsam gefunden, einem waschechten Odenwälder aus Beerfelden, der wie Professor Hars vor dem Studium eine Werkzeugmacherlehre absolviert hat. Bei der Anfertigung von Vorrichtungen kam er – wie er einmal sagte – erstmals mit den Genauigkeitsanforderungen im Druckmaschinenbau in Berührung, was ihn auf die Branche aufmerksam machte.
Er studierte dann an der TU Darmstadt Maschinenbau mit Schwerpunkt-Fächern bei den Professoren Pahl (Maschinenkonstruktionslehre) und Schulz (Werkzeugma-schinenbau). Nach dem Diplomexamen fand er Anstellung in der F & E-Abteilung der MAN Roland Druckmaschinen AG im Werk Offenbach, wo er die Chance erhielt, gleichzeitig eine Dissertation über die Kinematik von Bogewendeeinrichtungen zu schreiben, was zu seiner Promotion führte. Die Karriereleiter aufsteigend wurde er schnell Abteilungsleiter für Bogenwendeeinrichtungen, stellvertretender Konstruktionsleiter, Produktmanager einer Großbogenoffsetmaschine und schließlich Bereichsleiter für die Mittelformatdruckmaschinen.
Nach seinem Amtsantritt zu Beginn dieses Jahres gab er bekannt, dass er den konstruktiven Schwerpunkt von Professor Hars fortsetzen und einen zweiten Zweig aufbauen will, den man mit der Bezeichnung „Methoden zur Farbwiedergabe in Medien“ umschreiben könnte. Das Ganze wird hardware-unabhängig erfolgen. Ein dritter Zweig soll das „Print Media Management“ beinhalten. Den eigentlichen Vorstufenbereich will er jedoch durch eine engere Kooperation mit der Lehrdruckerei von Professor Wilkes und dessen Nachfolger abdecken. Die schon vorher angesprochene Zweiteilung, wie sie in Chemnitz praktiziert wird, soll also endlich auch in Darmstadt Realität werden. Vielleicht lässt sich in einer nicht zu fernen Zukunft die Kooperation auch noch auf weitere Fachgebiete der TU Darmstadt ausdehnen, die sich schon heute mit dem Electronic Publishing beschäftigen.
Die nach den Bologna-Beschlüssen der europäischen Hochschulrektoren angestrebte Internationalisierung der Diplomabschlüsse durch Überführung in das angel-sächsische Bachelor / Master-System wird hoffentlich noch in der Amtszeit von Prof. Dörsam wirksam werden. Dies wird das bereits angesprochene, leidige Problem der Titelgleichheit bei unterschiedlichen Lehrinhalten zwischen den Fachhochschulen und den TH /TUs beseitigen – letztendlich zur Sicherstellung der gleichmäßigen Auslastung der Hochschul-Ressourcen und der Vermeidung von zu vielen Studienabbrüchen.
Wir können somit – und davon bin ich überzeugt – sehr hoffnungsvoll der Zukunft des IDD entgegen sehen. Über vier Generationen von Lehrstuhlinhabern hat sich die Führung nicht nur im Lebensalter verjüngt. Es braucht dazu aber auch einen neuen Impuls aus der Industrie, so wie er bei der Gründung des IDD vor 50 Jahren zu verzeichnen war. Längst haben alle Entscheidungsträger dieser Industrie erkannt, dass Forschung in hohem Maße die Zukunft unserer Branche bestimmt und nicht ein verbrämender Schmuck für das Marketing ist. Man hat deshalb selbst große Forschungskapazitäten in den einzelnen Firmen aufgebaut, was jedoch die Gemeinschaftsforschung nicht überflüssig macht, denn in ihrer Stimulans und Rationalisierung liegt ein bedeutender, wirtschaftlicher Vorteil.
Bei der vor kurzem in Düsseldorf stattgefundenen Jahrestagung des VDD hat Professor Dörsam sehr mutig an die Adresse der Druckmaschinenindustrie appelliert, das Offset-Druckverfahren im Hinblick auf eine selbsttätige Regelung und Vereinfachung der Komplexität zu optimieren, um es von der Abhängigkeit des druckerischen Könnens zu befreien. Nur so werde man die Technologieführerschaft des deutschen Druckmaschinenbaus auch in Zukunft sichern. Und er schloss seine Ausführungen mit den handreichenden Worten: „Fangen wir’s an!“.
In diesem Sinne wünsche ich dem IDD ein herzliches „Glück auf“ für die nächsten 50 Jahre an deren Ende ich bestimmt nicht mehr als Chronist und Laudator zur Verfügung stehen werde.