Faszination Schnellpressenantriebe

Ein Bericht vom zweiten VDD-Seminar in 2003 im Haus für Industriekultur Darmstadt

Den Reigen der insgesamt sieben VDD-Seminare im Winterhalbjahr 2003/04 eröffnete der Altmeister des innovativen Druckmaschinenbaus, der Senior-Chef des Konzerns KBA, Dr.-Ing. Dipl.-Phys. Hans-Bernhard Bolza-Schünemann, der über die Schnellpressenära von 1812 bis 1980 sprach und dabei besonders die vielgestaltigen Satzbettantriebe hervorhob. Man hätte sich gewünscht, dass mehr Studenten seinen so mitreißend vorgetragenen Ausführungen gefolgt wären, um sich von der Faszination des Konstrukteurberufs fesseln zu lassen. So war der Vortragssaal im Haus für Industriekultur in Darmstadt im Wesentlichen von bereits Druckmaschinenbegeisterten und historisch Interessierten gefüllt. Der Veranstaltungsort hatte den Vorteil, dass das Gehörte gleich vor Ort, an den dort ausgestellten Schnellpressen nachgeforscht werden konnte.

Dr. Bolza-Schünemann, von seinen Mitarbeitern liebevoll HBS genannt, machte den Wandel an acht verschiedenen Schnellpressentypen klar. Da war zunächst die Ur-Schnellpresse des Friedrich Koenig aus dem Jahre 1812, die erstmals die bei der Gutenbergpresse und ihren eisernen Nachfolgetypen noch statischen Arbeitsschritte des Einfärbens der Form und des Ausübens des Drucks in eine fließende Fertigungskette integrierte. Der Satzbettantrieb mittels Rechenantrieb, wie er in Wäschemangeln gebräuchlich war, der Reibrad-Variator für die Zustellbewegung der Farbbüchse, das Hornradgetriebe, die Hookeschen Gelenke – das alles wurde mit Videounterstützung plastisch den Seminarteilnehmern vor Augen geführt.

Auf diese erste Schnellpresse von Koenig & Bauer folgte1836 eine Schnellpresse mit Rollrad-Antrieb von Helbig & Müller in Wien, wobei eine Kurbel an die Stelle des Rechen-Antriebs trat und wobei die sich auf einer festen Zahnstange abstützenden Rollräder unter dem Karren den Kurbeldurchmesser entsprechend der 1:2-Übersetzung verkleinerten. Ein Fanggabel-Mechanismus besorgte den Stillstand des Druckzylinders während der Bogenanlage, während den Bogentransport erstmals Greifer besorgten. Darauf hin entwickelte Andreas Bauer nach Friedrich Koenigs allzu frühen Tod die so genannte Eisenbahnbewegung, und 1840 zudem einen ganz neuen Typ von Antrieb, die auf einem Planetengetriebe basierende Kreisbewegungsmaschine. Ein Planetenrad, an das der Karren direkt und fest angeschlossen war, wälzte sich dabei in einem großen, still stehenden, innen verzahnten Radkranz ab. Die Dresdner Schnellpressenfabrik, aus der die Planeta hervor ging, griff 1902 dieses System auf und verkleinerte das Planetengetriebe durch Nachschaltung einer Art Eisenbahnbewegung.

Das Zweitouren-Prinzip erklärte Dr. Bolza-Schünemann an einer Miehle-Schnellpresse. Wie der Name schon sagt, führte bei ihr der Druckzylinder zwei Umdrehungen pro Druckgang durch. Charakteristisch war bei ihr auch, dass die Auslage der bedruckten Bogen auf der gegenüber liegenden Seite zur Anlage erfolgte, was man Frontbogenausgang nannte. Dadurch baute sie sehr lang, denn der Ausleger musste das gesamte Formbett überspannen. Der Formbettantrieb ähnelte dem Mangel-Rechenantrieb, jedoch bewegte sich bei dieser nicht auf- und, sondern seitlich bei Führung in den Totpunkten über Kulissen. Wegen der großen bewegten Massen mussten zusätzlich zur Kulissenführung Luftpuffer eingebaut werden. Man erreichte so 2 200 – 2 300 Bogen/h.

Eine Besonderheit brachte 1935 die Schnellpressenfabrik Heidelberg mit ihrer Eintouren-Schnellpresse OHZ heraus. Das Eintourenprinzip war zwar schon aus USA bekannt, wo nicht weniger als 21 Hersteller, u.a. Walter Scott, diesen Maschinentyp fertigten, doch die Heidelberger und ein Schweizer Patentgeber führten dazu den beschleunigten Karrenrücklauf mit einer Doppel-Kurbel und einer gelenkten Zahnstange ein. Natürlich war der nur einmal pro Druckgang drehende Druckzylinder doppelt so groß als bei den üblichen Schnellpressen ausgeführt, denn für den Druck stand nur ein schmales Segment auf seinem Umfang zur Verfügung. Es wurden damit 3 500 Bogen/h erreicht.

Eine neuartige Zweitourenmaschine brachte die US-amerikanische Firma Miller 1942 heraus, indem sie eine V-förmige Kulisse unter dem Karren anbrachte, in die in den jeweiligen Endpunkten das Antriebsrad einschwenkte und zwei verschiedene Zahnstangen zum Einsatz kamen. Die Produktionsgeschwindigkeit stieg damit auf 3 500 – 4 000 Bogen/h. Noch kompakter baute der kleinformatige Poly-Automat der MAN aus dem Jahre 1950, der trotz seiner fast nur Tischgröße eine echte Zweitourenmaschine war. Erreicht wurde dies durch ein schaukelförmiges Gebilde unter dem Antriebsrad, das an seinen beiden Enden je einen Schlitz in der Form einer Epizykloide trug und so die Umkehrbewegung des Karrens steuerte,

Die große Agonie des Schnellpressenbaus wurde 1958 mit der Zweitourenmaschine Condor von Koenig & Bauer eingeläutet. Sie bestach nicht nur durch ihr ansprechendes Design, sondern steckte auch voller Innovationen. Da war zunächst die Antriebssteuerung über ein Malteserkreuzgetriebe, bei dem Einsatzstücke Formschlüssigkeit gewährleisteten. Der im Fundament versenkte Antrieb bestand aus zwei Zweitourenwellen und war zur Massenreduzierung aus Leichtmetallguss hergestellt. Ein stark beschleunigter Karrenrücklauf brachte die Produktionsleistung auf 4 600 Bogen/h und eine Stopp- und Umkehrtrommel nach der Bogenanlage, ließ die An- und Ablage auf der gleichen Seite zu, wodurch eine kompakte Bauweise zustande kam, zumal das Farbwerk nach oben abfahrbar war, um die Zugänglichkeit zur Druckform zu gewährleisten.

Um das Jahr 1980 kam jedoch ganz plötzlich das Aus für die im Buchdruck arbeitenden Schnellpressen. Die Bogenrotationsmaschinen mit geätzten und photopolymeren Wickelplatten versuchten zwar den Buchdruck noch zu retten, doch der aufkommende Offsetdruck mit seinen wesentlich preiswerteren, planen Druckplatten und der Möglichkeit, den Vierfarbendruck ohne Zurichtung durchführen zu können, obsiegte am Ende auf der ganzen Linie. Dr. Bolza-Schünemann sagte zu Abschluss, Koenig & Bauer haben selbst dazu beigetragen, das Grab für die Buchdruck-Schnellpressen zu schaufeln, indem sie auf der TPG-Messe 1974 in Paris eine Bogenoffsetmaschine mit einer Produktionsgeschwindigkeit von 15 000 Bogen/h auf den Markt brachten, was einer Verdreizehnfachung der Leistung gegenüber der ersten Schnellpresse entsprach.

Dipl.-Ing. Boris Fuchs