Das Maschinenelement Gummituch

Ein Bericht vom ersten VDD-Seminar in 2003 im Haus für Industriekultur Darmstadt

Es lebt noch, das jahrzehntelange Sorgenkind Haus für Industriekultur in Darmstadt, auch wenn es sich wie weiland Oskar Matzerath im Roman „Die Blechtrommel“ von Günter Grass nicht mehr weiter gewachsen ist. Die 38 Teilnehmer des VDD-Seminars am 12. Juni 2003 hatten die Gelegenheit, das Haus vor dem Vortrag zu inspizieren und waren beeindruckt von der Fülle an Exponaten, den 13 betriebsfähigen Linotype-Bleisetzmaschinen vom Modell 4a bis zur Universa, den 10 Schnellpressen von der Marinoni-Stoppzylindermaschine von 1850 über die Kreisbewegungsmaschine von Koenig & Bauer aus dem Jahre 1875 bis zum Heidelberger OHZ, den 13 eisernen Hand- und Tiegelpressen, sowie der einfachbreiten MAN-Rotation aus dem Jahre 1935. Im 3. Stock des historischen Gebäudes an der Kirschenallee betreibt weiterhin der Darmstädter Künstler Günter Staschik sein Kupferstich-Kabinett neben den sechs Lithographie-Reiberpressen und in einem durch eine Glaswand abgetrennten Bereich fertigt Rainer Gerstenberg wie eh und je seine Bleisatzschriften auf einer Vielzahl von fest installierten Einrichtungen, die von der D. Stempel AG nach deren Auflösung übernommen wurden. Wer vorwitzig genug war, konnte im 2. Stock hinter den Trennwänden der Kinderdruckerei eine Vielzahl von restaurierungsbedürftigen Maschinen und Geräten entdecken, die still vor sich hin rosten und nur der Kenner weiß, dass ein wahrer Schatz im Kellergeschoss liegt: 700 bebilderte Lithosteine und mehrere Tonnen von verpacktem Schriftmaterial lagern hier in 150 m langen Regalen. Wäre das Haus eine Arche Noah, sie könnte dank dieses enormen Kielballastes niemals kentern.

Eigentümerin des Hauses wurde nach dem Zusammenbruch der Vereinsträgerschaft das Hessische Landesmuseum, das die Aktivitäten auf Sparflamme weiter betreibt. Die Einzigartigkeit dieses, neben den Leipziger Werkstätten und Museum für Druckkunst wohl größten deutschen Druckmuseums hätte eine stärkere staatliche Unterstützung verdient, um weiter bestehen und wachsen zu können – mindestens zwei Stockwerke stehen noch leer.

Immer wieder ist die Rede davon, dass die druckrelevanten Fachbereiche der Technischen Universität Darmstadt in das Museum integriert werden sollten, indem zumindest deren Werkstätten in das Haus für Industriekultur einziehen und so das Haus mit echtem Leben erfüllen. Ein Anzeichen dafür könnte sein, dass das von Prof. Dr.-Ing. Edgar Dörsam moderierte, erste VDD-Seminar dieses Jahres an diesem Ort stattfand. Der Referent dieser Abendveranstaltung, Dipl.-Ing. Joachim Herrmann von der Entwicklungsgruppe Drucktücher der ContiTech Elastomer-Beschichtungen GmbH in Northeim, Tochtergesellschaft der Continental AG in Hannover, baute denn auch sein Referat gegenüber früher gehörten Vorträgen zum gleichen Thema „Drucktücher für den Offsetdruck“ mehr nach einer wissenschaftlichen Zielrichtung auf.

Aus der Fülle von Anforderungen, die ein Gummituch zu erfüllen hat, wie Langlebigkeit, Quellbeständigkeit, Ausdruckverhalten, Registereigenschaft, Tonwertzunahme, Maßhaltigkeit, Aufbauen, Förderverhalten, Rückstellfähigkeit, Wärmeentwicklung, Reproduzierbarkeit, Einfallen, Dehnung und Spaltenbildung wählte er die drei Eigenschaften Kompressibilität, Förderverhalten und Benetzungsfähigkeit für eine eingehendere Behandlung in seinem Vortrag aus. Die Kompressibilität betreffend verwies er darauf, dass die bloße Shorehärte-Messung hier nicht weiter hilft. Es braucht dazu einen Quasi-statischen Prüfstand zur Messung der Federkennlinie. Ziel ist dabei, nach wenigen wechselnden Belastungen eine Konstanz zu erreichen und die Kompressibilität des Gummituchs so hoch wie möglich zu treiben – bis zu der Grenze, bei der der Ausdruck nachlässt. Mit eingeschlossenen Gummibläschen macht man sich dabei den Tennisball-Effekt zu Nutzen.

Für das Förderverhalten, das sowohl bei Achtertürmen als auch bei Satelliten-Druckeinheiten Papierspannungs-Lose zwischen den Druckstellen vermeiden hilft, wählt man bestimmte Gummikombinationen in der „Neutral Paper Feed Technology“ aus, der man das Markenzeichen „ContiTech Evolution / Synchro“ gegeben hat. Bei der Entwicklung der Gummimischung konnte man sich auf analytisch-geometrische Untersuchungen über den effektiven Rolldurchmesser der Koenig & Bauer AG (KBA) in Würzburg stützen. In der Gegenüberstellung von ideal kompressibel und ideal inkompressibel ergibt sich dabei ein gutes Hilfsmittel für den Drucker bei Spannungsproblemen. KBA entwickelte dazu einen speziellen Prüfstand. Auf ihm wird neben dem Förderverhalten auch die Verlustarbeit und die dynamische Druckkraft gemessen – und dies sowohl für die üblichen textilbewehrten Gummitücher, als auch für die neuen metallbewehrten Gummitücher für geringere Kanalbreite sowie leichtere Wechselbarkeit und die kanalfreien Drucktuchhülsen, „Sleeves“ genannt. Ein weiterer Weg sei zwar auch mit der FEM-Simulation gangbar, doch liefere diese keine so verlässlichen Ergebnisse.

Bei der Benetzungsfähigkeit war das Paradoxon zu lösen, die Gummituchoberfläche gleichzeitig hydrophil und oleophil zu machen. Auch hier ist das Mittel zum Erreichen dieses Ziels, die richtige Gummi-Rezeptur zu finden. Polarität, Oberflächenstruktur, Quellungscharakteristik, Adhäsionsneigung und der pH-Wert sind dabei die wichtigsten Einflussgrößen, um einen nahezu alkoholfreien Offsetdruck durchführen zu können. Das Testverfahren bezieht sich mit dem Curling-Test auf den QR-Effekt (Quick Release), indem die Lockenhöhe von zehn aufeinander folgenden Bogen gemessen wird (je höher die Abziehkraft vom Gummituch, je höher die Lockenhöhe am Ende des Bogens).

Dem Referenten wurde mit einem lang anhaltenden Applaus vom Auditorium gedankt, in dem sich viele Praktiker und auch mehrere Damen – eine Seltenheit bei VDD-Veranstaltungen – befanden. Einige Unentwegte trafen sich danach noch zu einem Umtrunk in einem Darmstädter Lokal, um den Abend in einer kameradschaftlich lockeren Atmosphäre mit dem neuen und jungen Professor ausklingen zu lassen.

Dipl.-Ing. Boris Fuchs